Der neue Bestätigungsvermerk – vertane Zeit?
Viel Zeit hat das IDW auf die Einführung des neuen Bestätigungsvermerkes verwandt. Die später nicht weiterverfolgten Entwürfe nicht mitgezählt, wurden letztlich 5 Prüfungsstandards entweder reformiert oder sogar neu verabschiedet. Dieses Jahr ist der neue Bestätigungsvermerk auch im Mittelstand angekommen. Passte der alte Bestätigungsvermerk noch auf eine Seite, so ist der neue viermal so lang.
Das IDW begründet die Einführung des neuen Bestätigungsvermerkes damit, dass der alte Bestätigungsvermerk die Erwartungslücke nicht geschlossen hätte. Erwartungslücke heißt: In der Erteilung eines uneingeschränkten Bestätigungsvermerks wird womöglich ein Gütesiegel über den künftigen Erfolg und die die finanzielle Gesundheit des geprüften Unternehmens gesehen. Tatsächlich wird aber nur geprüft, ob die gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen eingehalten wurden. Ob das Unternehmen profitabel ist, muss der Abschlussadressat selbst beurteilen.
So erklärt der neue Bestätigungsvermerk also im Wesentlichen, dass
- die vom Abschlussprüfer angestrebte hinreichende Sicherheit keine Garantie dafür sei, dass der Abschluss jeden wesentlichen Fehler aufdecke, und
- künftige Ereignisse dazu führen können, dass das Unternehmen beendet werden muss.
Warum der Bestätigungsvermerk dafür indes dreimal länger werden musste, weiß ich nicht.
Und die Erwartungslücke gibt es so auch nicht:
- Professionelle institutionelle Abschlussadressaten haben keine Erwartungslücke, weil sie über ein Verständnis über Bilanzierung und Prüfung verfügen und wissen, dass die Prüfung nur eine Ordnungsmäßigkeitsprüfung ist.
- Abschlussadressaten, die umgekehrt frei von jeglichem Verständnis für Bilanzierung und Prüfung sind, ist mit dem neuen Bestätigungsvermerk auch nicht geholfen; sie verstehen ihn nicht.
- Eine Erwartungslücke kann also nur haben, wer zwar einerseits ein Verständnis über die Bilanzierung hat, aber andererseits nicht weiß, dass die Prüfung nur eine Ordnungsmäßigkeitsprüfung ist. Die Existenz eines solchen Adressaten darf bezweifelt werden: „Wieviel hat das Unternehmen verdient?“ Das ist die erste Frage eines Abschlussadressaten. Der Adressat blickt nicht zuerst in den Bestätigungsvermerk, sondern in die Gewinn- und Verlustrechnung. Dort erkennt er etwa anhand zurückgehender Umsatzerlöse und sinkender Gewinne oder gar erlittener Verluste auf einen Blick, dass das Unternehmen kriselt. Und neben den Zahlen hilft ein Blick in den Lagebericht, dort insbesondere in den Chancen- und Risikobericht, weiter.
Ohne Erwartungslücke hätte das IDW aber auch beim alten Bestätigungsvermerk bleiben können.
Und so gilt aus Sicht eines mittelständischen Prüfers, sprachlos vor dem neuen Bestätigungsvermerk stehend, was Johann Wolfgang von Goethe schon vor 200 Jahren sagte:
„Man muss bedenken, dass unter den Menschen gar viele sind, die doch auch etwas Besonderes sagen wollen, ohne produktiv zu sein, und da kommen die wunderlichsten Dinge an den Tag.“
Literatur: Schüttler, Der neue Bestätigungsvermerk: vertane Zeit? Die Mär von der Erwartungslücke!, BC 2019, S. 173 Heft 4.
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